Niejohr (Otto Wobbe, Klocken un Klingeln S. 7)

Wat is 'n Johr? En korten Schritt!
En Druppen, de in 't Weltmeer füllt!
Un doch is in em so väl Qual,
Un so väl Freud' un Lust tomal!
Un so väl Hoffnung, so väl Glück,
Un so väl Angst un Mißgeschick!

Man blots en liesen Klockenschlag
Von unsen Herrgotts Arbeitsdag!
Un doch so vull von Mäuh und Not,
So vull von Läben un von Dod,
So vull von Leiw un Sickverstahn,
Un ewig Untenannergahn! - -

Nu stahn wi wegger vör de Purt,
En nieges Johr dorachter lurt.
En Druppen man, en liesen Schlag - -
Un doch: Wat dat woll bringen mag?!
Mit Fürchten un vull Hoffnungsfreud'
Uns Hart em bang entgägenschleiht!

Hochdeutsche Übersetzung

Neujahr

Was ist ein jahr? Ein kurzer Schritt!
Ein Tropfen, der ins Weltmeer fällt!
Und doch ist in ihm so viel Qual,
Und so viel Freud' und Lust zumal!
Und so viel Hoffnung, so viel Glück,
Und so viel Angst und Mißgeschick!

Nur (man bloß) ein leiser Uhrenschlag,
Von unser Herrgotts Arbeitstag!
Und doch so voll von Müh und Not,
So voll von Leben und von Tod,
So voll von Liebe und Sichverstehen,
Und ewig Auseinandergehen! - -

Nun stehen wir wieder vor der Pforte,
Ein neues Jahr dahinter lauert.
Ein Tropfen nur, ein leiser Schlag - -
Und doch: Was das wohl bringen möge?!
Mit Fürchten und voll Hoffnungsfreud'
Unser Herz ihm ängstlich entgegenschlägt.